Bewegung auf Rezept
Undenkbar in der normalen Kassenarzt-Praxis. Kaum denkbar im Krankenhaus, kommt nicht vor in der Universitätsklinik. Bewegung auf Rezept.
Die heutige Medizin schenkt es her, das wertvollste Heilmittel bei inzwischen 26 chronischen Krankheiten, einschließlich Krebs. Darf ich zitieren?
„Alles in allem haben Ärzte mittlerweile 26 verschiedene chronische Krankheiten ausgemacht, die man mit körperlicher Aktivität wirksam behandeln kann. Die Liste reicht von Angststörungen über Depressionen und Demenz bis zum Rheuma.
Doch merkwürdig: Es gäbe in der medizinischen Literatur erstaunlich wenige Studien, so der Epidemiologe John Ioannidis von der Stanford University in Kalifornien, in denen die Wirkung von Medikamenten und Bewegung miteinander verglichen werden.
Diese Unterlassung ist nicht verwunderlich: Pharmazeutische Firmen verdienen ihr Geld schließlich mit Pillen, nicht mit Turnschuhen.
Die Vorteile der „Bewegung bei nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Rückenschmerzen und Arthrose sind erheblich“ konstatierten unlängst Forscher im „Canadian Medical Association Journal“. „Dennoch wird die Bewegung zu selten verschrieben und übersehen, oftmals zu Gunsten pharmakologischer und chirurgischer Interventionen“.
Lassen wir mal den Krebs (Schutzeffekt bewiesen an 1,4 Millionen Menschen vom National Cancer Institute) lassen wir mal die Demenz, die Depression (Sie wissen schon: das stärkste Heilmittel gegen Depression ist der Ausdauersport… so ein Hamburger Psychiater im Stern), lassen wir die Demenz, die Fibromyalgie, das Rheuma. Kommen wir zum wichtigsten für uns Läufer. Das Kreuz, das Knie.
„Viele Ärzte sahen malade Wirbelsäulen und kaputte Knorpel bisher eher als Verschleiß-Erkrankung. Womöglich ist in vielen Fällen das Gegenteil der Fall: Das Kreuz und die Gelenke schmerzen, weil die Leute sich zu wenig bewegen“: Zitat im SPIEGEL.
So versucht der Orthopäde Professor Ertel an der Charité soeben an 300 Menschen mit Arthrose im Knie zu beweisen, dass Bewegung und nicht etwa Stillsitzen gegen Kniearthrose hilft.
So wurde soeben – Stichwort Meniskus – an 140 Patienten aus Norwegen gezeigt, dass Bewegungstherapie bei Meniskusschaden genauso half wie typische Operation per Arthroskopie.
Und wenn der moderne Mensch Minderwertigkeitskomplexe hat, so hat er die durchaus zurecht. Da gab’s mal den Sportmediziner Mellerowicz (1919 bis 1996), der vom
„… kleinen, funktionell minderwertigen Herzen des modernen, domestizierten Großstadtmenschen“ sprach.
Recht hat er. Wissen muss er das auch. Er war immerhin deutscher Meister über 100m. Über das Missverständnis „Sportlerherz“, in der Drohmedizin als Schreckensgemälde an die Wand gemalt, hatte ich ja schon einmal geschrieben. Zur Erinnerung morgen erneut.
Quelle: DER SPIEGEL 39/2016, Seite 98