Das deutsche Krankenhaus
wird ganz aktuell und sehr prägnant beschrieben von einer Patientin. Von Sonja Mikich, einer früheren ARD-Kriegsreporterin. Die im deutschen Krankenhaus den schlimmsten Tag ihres Lebens erlebte. Fast gestorben wäre.
Und dies zum Anlass nimmt, die "fatale Ökonomisierung des hiesigen Gesundheitssystems" zu beklagen. Es ginge also fast nur noch ums Geld, kaum noch um die Gesundheit. Das macht sie an Zahlen fest: Demnach werden pro 100 000 Menschen im Schnitt durchgeführt
177 Herzkatheder (OECD)
624 Herzkatheder (Deutschland)
Auch bei den Operationen seien wir Weltmeister. Pro 100 000 Einwohner gibt es in
Frankreich 81 Wirbelsäuleneingriffe
Schweden 187 Wirbelsäuleneingriffe
Deutschland 698 Wirbelsäuleneingriffe
Ein Bandscheibenvorfall wird in Deutschland 7-mal so häufig operiert wie in Frankreich. Dabei, so Mikich, zählen amerikanische Forscher Operationen am Rücken bereits zu den großen Irrtümern der Medizin.
Jetzt kommt's: Frau Mikich ist klug. Hat sich informiert. Und sagt völlig zu Recht, dass der Grundfehler die Einführung der Fallpauschalen vor 10 Jahren, das sogenannte DRG-System gewesen sei.
Kliniken bekommen also Pauschalsätze bezahlt. Pro Operation. Was also wird eine Klinik sanft drängend von ihren Chirurgen verlangen? Ja eben.
Jetzt kommt's: Fragt doch der schlaue Spiegel nach: "Dafür war Rot/Grün verantwortlich. Das muss Sie als eher linke Journalistin schmerzen". Daraufhin Mikich holterdiepolter: "Darum geht's nicht, das wollten damals alle."
Aua. Darum geht's nicht? Genau darum geht's. Das wollten damals alle? Das wollte kein Arzt. Wir haben uns mit Händen und Füßen gewehrt. Und die große Zahl der kundigen Bevölkerung natürlich ebenfalls. Wir dachten immer, dass die Planwirtschaft mit der Sowjet Union und der DDR gestorben sei. Und kaum erlebt eine, laut Spiegel "eher linke Journalistin" (wie laut Umfrage 84% der deutschen Journalisten) einmal am eigenen Leibe die Auswirkungen, da... verdrängt sie es einfach. Wollen wir ihr alle mal einen Brief schreiben? Sie erinnern?
Sie merken, dass es hier in mir gärt. Ich habe diesen entscheidenden Wertewandel hautnah miterlebt. So wie man heute versucht, verschieden großen Menschen ein einheitsgroßes Kleid anzuziehen, genannt den Euro, und sich dann wundert...
Ich dachte immer, diese Zeiten seien vorbei. Sind sie nicht. Immer noch glaubt man an den Einheitskranken, die Einheitsbehandlung, die Einheitspauschale. Sie, liebe Leser, ahnen nicht, wie wir Ärzte tatsächlich leiden. Wir haben nämlich auch ein Herz.
Quelle: Spiegel 19/2013, S.72