S3-Leitlinien haben in der Schulmedizin einen hohen Stellenwert. Sie sind das oberste Regelwerk für Ärzte und sollten auf evidenzbasierten, aktuellen Forschungsergebnissen beruhen. Eine Leitlinie, die die Patientenversorgung vereinheitlicht und optimiert. Auf höchstem Niveau. So weit die Theorie. Dass das in der Praxis auch anders aussehen kann, zeigt die aktuelle S3-Leitlinie zur Vitamin D3-Substitution, die zum Jahresende veröffentlicht werden wird.

Dank dem Internet ist Wissen für fast alle Menschen zugänglich geworden. Auch die Forschungsergebnisse zu Vitamin D3. Immer mehr Menschen haben verstanden, dass sie selbst Verantwortung für ihre Gesundheit übernehmen müssen und werden mündig. Plötzlich wenden sich Patienten an ihren Hausarzt und fragen gezielt nach ihrem Vitamin D-Spiegel. Es sind teilweise Kranke, die sich von einer Vitamin D-Therapie Hilfe erhoffen, wie z. B. die Patientin mit Osteopenie, einer Vorstufe von Osteoporose, die ein Fortschreiten ihrer Erkrankung verhindern möchte oder der Diabetiker, der gelesen hat, dass ein optimaler Vitamin D-Spiegel die Insulinwirkung verbessern kann. Oder aber der Patient mit Bluthochdruck, der sich über die positiven Wirkungen von Vitamin D3 auf das Herzkreislaufsystem informiert hat.

Angesichts immer mehr Anfragen von Menschen zur Vitamin D-Versorgung in ihren Praxen sahen sich die Hausärzte gezwungen, eine S3-Leitlinie für die “Beratung zur Vitamin D-Substitution” zu erstellen. Denn: Wer nicht an einer manifesten Osteoporose erkrankt ist oder dauerhaft Kortison einnehmen muss, hat hierzulande keinen Anspruch auf eine Vitamin D-Versorgung auf Krankenkasse. Sie ist für die meisten Menschen Privatsache. Und wird es auch in Zukunft bleiben. Die Hausärzte haben sich mit dieser neuen Leitlinie ganz klar positioniert:


Ich zitiere:


  • “Eine Bestimmung der Serumkonzentration von 25-[OH]-D bei erwachsenen Personen ohne relevante Vorerkrankungen/medizinische Risikofaktoren und ohne ein typisches osteologisches Beschwerdebild sollte NICHT durchgeführt werden.
  • Vitamin-D-Präparate sollten NICHT zur Primärprävention von Erkrankungen bei erwachsenen Personen ohne relevante Vorerkrankungen und ohne Risikofaktoren für einen Vitamin-D-Mangel empfohlen werden.”

Es fehle an ausreichender Evidenz, um Patienten zu beraten und eine entsprechende Therapie beziehungsweise Supplementation einzuleiten, berichtet die Ärztezeitung online am 16.6.2024, die sich auf die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin beruft.

Es fehle an Evidenz? - darf ich hier kurz weiterhelfen? Ich empfehle einen Blick in die medizinischen Datenbanken, wie MEDLINE oder die Cochrane Library. Alle frei zugänglich für jedermann.

Nur ein Beispiel:

Eine Meta-Analyse, veröffentlich im Mai 2024, aus 22 einzelnen Studien kam zu dem Schluss, dass ein niedriger Vitamin D-Spiegel ein eigenständiger Risikofaktor für Herzkreislauferkrankungen bei Diabetikern darstellt.

Diabetiker sind typische Patienten in jeder Hausarztpraxis. Herzkreislauferkrankungen sind die häufigsten Komplikationen bei dieser Erkrankung. Wie viel Leid würde man verhindern, würde man wirklich eine evidenz-basierte Vitamin D-Therapie einführen. Diese neue S3-Leitlinie ist eine vertane Chance. Sie wird zu einer Leidlinie im wahrsten Sinne des Wortes.

Zum Glück sind S3-Leitlinien nicht rechtlich bindend. Zum Glück gibt es viele Ärzte, die selbständig denken und Vitamin D3-Messungen durchführen. Bei sich, bei ihrer Familie und bei ihren Patienten. Und zum Glück nehmen Patienten ihre Gesundheit in die eigenen Hände.


Quelle:

https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Empfehlungen-zur-Vitamin-D-Substitution-Neue-Leitlinie-angekuendigt-450433.html

Iqhrammullah M, Gusti N, Andika FF, Abdullah A. Association of serum vitamin D and the risk of cardiovascular diseases among diabetic patients: A systematic review and meta-analysis. Clin Nutr ESPEN. 2024 Aug;62:66-75. doi: 10.1016/j.clnesp.2024.04.018. Epub 2024 May 15. PMID: 38901950.


Über die Autorin:


"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.

Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.