Die Psychopille
Wunschtraum vieler Menschen: Eine Pille einwerfen und wacher, fokussierter, leistungsfähiger werden. Kurzes Innehalten: Wünschen sich nicht alle Menschen. Es gibt viele, sehr viele unter uns, die ohne diesen Zusatz-Antrieb leben wollen. Die zufrieden sind. Wir vergessen das immer.
Und es gibt noch mehr unter uns, die sogar das Gegenteil bewusst anstreben. Weshalb wohl veröffentlicht das Bundesgesundheitsministerium so Zahlen wie: 94,5% der erwachsenen Deutschen trinken regelmäßig täglich Alkohol. Ich habe selbst lange Jahre Wein genossen und weiß genau, weshalb.
Aber zurück zur Psychopille. Können Sie haben. Gibt es bereits. Heißt Modafinil. Seit 1992 auf dem europäischen Markt. Geschaffen gegen krankhafte Schlafattacken, die sogenannte Narkolepsie. Aber schon lange auch bei Gesunden beliebt… Modepille unter US-Studenten.
Beliebt? Weshalb? Weil sie wirkt. Unzweifelhaft. Neuerdings bewiesen von Neurowissenschaftlern der Uni Oxford. Die alle vorliegenden Studien zu Modafinil durchgesehen haben und Hochinteressantes entdeckt haben:
- Die Pille verbessert Entscheidungsfähigkeit und das strategische Denken ganz besonders eindrucksvoll, je komplexer die gestellte Aufgabe war. Wenn Menschen also wirklich gefordert waren.
- Heißt andersherum, so die Neurowissenschaftler: Enttäuscht von der Wirkung, besser gesagt der Nicht-Wirkung dieser Psychopille sind alle die Menschen, die „ohnehin schon besonders konzentriert oder intelligent sind.“ Außerdem fördert die Pille eher logische Schlussfolgerungen, weniger dagegen flexible, kreative Lösungen.
Gestatten Sie mir bitte, zu lächeln. Selbstverständlich habe ich Modafinil schon seinerzeit ausprobiert. Und war bitter enttäuscht: Keinerlei Wirkung. Habe mir gedacht: Wieder so ein PR-Gag der Pharmaindustrie. Muss mich heute belehren und korrigieren lassen. Dass die Korrektur so hübsch ausfällt, hatte ich nicht erwartet: Alle die unter Ihnen, die „besonders konzentriert oder intelligent sind“, also alle von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, werden keine Pillenwirkung verspüren. Muss ich gleich noch einmal lächeln.
Interessant der Wirkungsmechanismus. Ähnlich wie Koffein. Tatsächlich aber wird wieder einmal Dopamin aktiviert, also das Belohnungssystem im Gehirn.
Wird das nicht langsam langweilig? Alle Psychopillen, also Speed, Exstasy, Amphetamine, auch Kokain wirken immer über die gleiche Schiene. Erinnern Sie sich?
Phenylalanin – Tyrosin – Dopamin –
Adrenalin – Noradrenalin.
Deshalb hatten die Bomberpiloten im Falklandkrieg Tyrosin mitbekommen. Als Aufputschmittel. Die gleiche Wirkungsschiene. Die Piloten wurden wacher, fokussierter, leistungsfähiger.
Unterschied: Tyrosin bekommen sie rezeptfrei in der Apotheke. Modafinil offiziell gar nicht. Bleibt für Sie allenfalls ein Traum.
Quelle: DIE ZEIT 35, 27.08.15, Seite 29