Die Zuckersteuer
Jetzt geht’s wirklich ans Eingemachte. Da fordert doch Stefanie Gerlach von der Deutschen Adipositas-Gesellschaft in der Zeit (März 2016) eine Zuckersteuer. Im Kampf gegen Übergewicht.
Genialer Gedanke. Gutes Zureden hat ja nie geholfen. Aber wenn es um den Geldbeutel geht… wird der Bürger wach. Zum Glück, zum großen Glück kommen ihn sofort (innerhalb einer Woche) Experten zu Hilfe. Solch ein Experte ist Günter Tissen, der Hautgeschäftsführer der wirtschaftlichen Vereinigung Zucker eV.. Und was glauben Sie, was der sagt:
„Eine Zuckersteuer wäre nutzlos gegen Übergewicht“. Natürlich.
Günter Tissen ist ein hochintelligenter Mensch. Man braucht sich nur sein Foto angucken. Der weiß, wie man einen Angriff auf seine Vereinigung, auf seinen Posten abwehrt: Mit dem genialen Begriff der Kalorien.
Der Irrtum „Kalorien“ ist ja nun schon über hundert Jahre alt. Hat sich festgesetzt. Auch in den Köpfen der Politiker. Selbstverständlich auch in den Köpfen vieler Ernährungswissenschaftler. Die tatsächlich heute noch glauben, dass Übergewicht eine Frage der Energiebilanz sei.
Längst wissenschaftlich widerlegt (News vom 27.08.2008, 07.10.2011, 27.10.2013 und 11.03.2014 unter www.strunz.com). Der hier angewandte Energieerhaltungssatz, ein heiliges Postulat, gilt nun einmal nur in geschlossenen Systemen. Der Mensch ist ein offenes System. Hier können Sie das Wort „Energiebilanz“ eben gerade nicht anwenden. Aber wer weiß das schon so präzise… also meint Herr Tissen so einleuchtend:
- „Eine Zuckersteuer wird uns im Kampf gegen Übergewicht nicht weiterhelfen“. Sie wäre
kontraproduktiv
- , weil sie den Blick auf eine Zutat und nicht auf den Zusammenhang von Kalorienaufnahme und Kalorienverbrauch lenkte.“
Denn, so Tissen, weniger Zucker heißt ja nicht automatisch weniger Kalorien. Und das beweist er ausgerechnet an Frühstückscerealien, an Müsliriegel, an Kakaopulver und Keksen: Varianten mit reduzierten Zuckergehalt hätten genauso viel Kalorien wie die Ausgangprodukte. Ei der daus.
Dass Keks Keks ist, dass Kohlenhydrate Kohlenhydrate sind, ob Sie das nun Zucker oder Mehl nennen, dass hier eine Hand die andere wäscht, wird einfach nicht artikuliert. Wird nicht deutlich gemacht. Und geht unter.
Aus gutem Grund hat schon die Zeitschrift „Fortschritte der Medizin“ dafür plädiert, dass in jede Arztpraxis Deutschlands ein Spirometer gehört. Mit Hilfe dieses Gerätes würde es jedem Arzt wie Schuppen von den Augen fallen. Würde er erkennen, dass nicht die Kalorien zählen, sondern das Wort „Zucker“. Also Kohlenhydrate. Dass man nach Verzicht auf Kohlenhydrate sehr wohl kalorienreich essen darf ohne zuzunehmen.
Ich finde das eine wundervolle Nachricht. Ich finde das glückliche Hilfe für Millionen Mitmenschen. Diese schlichte Erkenntnis. Aber seit wann möchte eine wirtschaftliche Vereinigung Menschen glücklich machen? Gesund machen? Ihnen das Leben erleichtern?
Dass sollte die Aufgabe von uns Ärzten sein. Deswegen: In jede Arztpraxis ein Spirometer. Und wir hätten den Risikofaktor Nummer 1 nicht nur in Deutschland, das Übergewicht, besiegt. Schlagartig und sofort. Weil wir jetzt, mit Hilfe der Messung, mit der vorliegenden Zahl Patienten überzeugen könnten.
Gut zureden hilft nun einmal wenig. Es gilt, zu überzeugen.
Quelle: Die ZEIT Nr. 15, März, 2016, Seite 9