Bis weit in die 1990 Jahre hinein galt allgemein hin das Dogma, dass das menschliche Gehirn starr und unveränderlich und die Gehirnentwicklung in etwa mit 20 Jahren abgeschlossen sei.

Dass dieses Denken mittlerweile obsolet ist bzw. sein sollte, verdanken wir einem unbequemen Forschergeist: Eric Kandel, Jahrgang 1929 und heutzutage immer noch sehr umtriebig, ist ein österreichisch-amerikanischer Neurowissenschaftler und Psychiater, der im Jahr 2000 den Nobelpreis für Medizin erhielt. Seine bahnbrechenden Forschungen zeigten, dass das Gehirn eben kein statisches Organ ist, sondern sich durch Erfahrungen und Lernprozesse ständig strukturell verändert. Kandel entdeckte, dass sich Nervenzellen im Gehirn durch Lernen vermehren und neue Verbindungen (Synapsen) bilden können - ein Konzept, das als Neuroplastizität bekannt geworden ist. Solange wir leben, kann sich unser Gehirn verändern und weiterentwickeln und auch neue Nervenzellen hervorbringen. Das Gehirn kann sich in gewissem Umfang sogar selber reparieren, z. B. nach einem Schlaganfall oder nach einem Schädel-Hirn-Trauma.

Es kann, es muss aber nicht.

Denn damit Neurogenese (Neubildung von Nervenzellen) und auch Neuroplastizität stattfinden kann, benötigt unser Gehirn Moleküle in Form von Wachstumsfaktoren. Ein entscheidender ist der Nervenwachstumsfaktor Brain Derived Neurotropic Factor (BDNF).

Er steuert bzw. stimuliert stärker als andere Wachstumsfaktoren den Vorgang der Nervenentwicklung vor allem beim Erwachsenen, aber auch in früher Kindheit. Muttermilch enthält große Mengen an BDNF und das kindliche Gehirn, das sich bis zum 20. Lebensjahr rasant entwickelt, benötigt entsprechend große Mengen davon.

BDNF wurde bereits in den 1950er Jahren entdeckt, aber erst in den letzten Jahren beginnen Wissenschaftler zu verstehen, welche Bedeutung dieses Molekül wirklich hat. Es scheint der zentrale Faktor für die Neubildung, die Differenzierung sowie den Schutz und den Erhalt der Nervenzellen zu sein.

Ohne ausreichende Mengen an BDNF treten folgende Symptome auf:


  • Lernstörungen
  • Gedächtnisstörungen
  • Konzentrationsstörungen
  • Depressionen
  • Angststörungen

Psychiater erforschen derzeit den Zusammenhang zwischen niedrigen BDNF-Spiegeln und Krankheiten wie Multiple Sklerose, Alzheimer und Parkinson.

Ein hoher Spiegel korreliert mit einer guten Auffassungsgabe, einem verlässlichen Gedächtnis und einer hohe Neuroplastizität.

Der Bauplan für dieses Protein liegt auf dem Chromosom 11 im menschlichen Genom. Leider befinden sich bei etwa 20% bis 30% aller europäisch-stämmigen Menschen kleine Fehler im Bauplan, so dass der BDNF-Spiegel dauerhaft zu niedrig ist. Die Folgen sind verheerend (siehe oben).

Kennen Sie Ihren BDNF-Spiegel? Er lässt sich einfach durch eine Blutabnahme bestimmen.

Das menschliche Gehirn badet leider oft nur in der Stillzeit in BDNF, wenn die Muttermilch diesen Faktor in rauen Mengen liefert. Wohl dem, der in den langen Genuss von Muttermilch kommt. Nach dem Abstillen bis zum Lebensende müssen wir selbst einiges für den Nachschub an BDNF tun, damit unser Gehirn die allerbesten Voraussetzungen hat sich zu formen, zu wachsen und sich zu schützen. Mehr dazu in der nächsten News.

Quellen:
Kandel, Eric: Auf der Suche nach dem Gedächtnis, Pantheon Verlag München 6. Auflage 2007
Urbina-Varela R, Soto-Espinoza MI, Vargas R, Quiñones L, Del Campo A. Influence of BDNF Genetic Polymorphisms in the Pathophysiology of Aging-related Diseases. Aging Dis. 2020 Dec 1;11(6):1513-1526. doi: 10.14336/AD.2020.0310. PMID: 33269104; PMCID: PMC7673859.



Über die Autorin:


"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.

Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.