Ein Wort zum Sonntag
Lächelnd lese ich soeben zum gewiss hundertsten Mal, dass irgendjemand sich an meinen Schreibstil „erst gewöhnen hat müssen“. Sei ihm ungewohnt gewesen. Er habe ein bisschen gebraucht.
Gemeint ist die Kürze der Sätze. Dieses „Schlag auf Schlag“. Dieses Knappe, dieses Trockene, durchaus Selbstbewusste, und oft dazwischen verborgen Ironie und ein bisschen Spott. Nun… Sie alle wissen Bescheid. Schließlich lesen Sie ja solch einen Text.
Kurze Sätze weshalb?
Ich schreibe nicht, sondern ich spreche mit Ihnen. Von der Bühne herab. Laut, suggestiv, im Bestreben, Sie zu überzeugen, Sie mitzureißen. Klingt immer ein bisschen „der Tritt in das Hinterteil“ mit.
So und nur so hatte ich Erfolg. Mitfühlende, lange, geschraubte, gewundene erklärende Sätze bringen hier gar nichts. Ein kurzes Kommando, es einsickern lassen, und schon der nächste Satz. Schlag auf Schlag. Diese Technik habe ich offensichtlich kultiviert. Kann man ja auf der käuflichen DVD anhören.
Da gibt es also drei DVDs von meinem Kult-Seminar. Hab ich mir selbst nie angesehen. Die entstanden „ohne mein Wissen“.
Heißt praktisch: Da wurden Kameras aufgestellt und ich hielt mein Seminar. Vom ersten Satz an habe ich die Filmaufnahmen vergessen. Völlig aus dem Gedächtnis getilgt. Weil ich „bei der Sache“ sein musste. Und das merken Sie natürlich. Gucken Sie sich die DVDs unter diesem Blickwinkel einmal an.
Ich war – gelobt sei… - stets im Hier und Jetzt. Erkennbar im Flow. Habe von tief innen drin zu Ihnen gesprochen. Und habe so den Einen oder Anderen überzeugt. Sein Leben verändert.
Natürlich ginge es auch anders. Mir schon klar. Darf ich Ihnen aus einem Lieblingsbuch zitieren? Beginnend mit meinen drei Lieblingssätzen? Einem Trochäus: zwei kurz, eins lang:
„Tief ist der Brunnen der Vergangenheit. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen? Dies nämlich dann sogar und vielleicht eben dann, wenn nur und allein das Menschenwesen es ist, dessen Vergangenheit in Rede und Frage steht: dies Rätselwesen, das unser eigenes natürlich-lusthaftes und übernatürlich-elendes Dasein in sich schließt und dessen Geheimnis sehr begreiflicherweise das A und das O all unseres Redens und Fragens bildet, allem Reden Bedrängtheit und Feuer, allem Fragen seine Inständigkeit verleiht.“
Sie hätten ´s also gerne etwas länger? Liegt Ihnen mehr? Gerne. Können Sie haben:
„Von dort nämlich war vor längeren Zeiten – Joseph war sich nicht immer ganz im klaren darüber, wie weit es zurücklag – ein sinnender und innerlich beunruhigter Mann nebst seinem Weibe, die er aus Zärtlichkeit wohl gerne seine „Schwester“ nannte, und anderen Zugehörigen ausgezogen, um es dem Monde, der Gottheit vor Ur, gleichzutun und zu wandern, weil er das als das Richtigste und seinem unzufriedenen, zweifelvollen, ja gequälten Zustande Angemessenste empfunden hatte.“
Oder, besonders schön:
„Sein Auszug, dem eine Sinnbetonung von Widerspruch und Auflehnung nicht abzusprechen gewesen war, hatte zusammengehangen mit gewissen Bauwerken, die ihm auf beleidigende Weise eindrucksvoll gewesen und die der dortzulande eben herrschende Nimrod und Erdengewaltige wenn nicht errichtet, so doch erneuert und übermächtig erhöht hatte: weniger, nach des Ur-Mannes geheimer Überzeugung, den göttlichen Lichtern zu Ehren, denen sie geweiht waren, denn als Hemmriegel der Zerstreuung und himmelaufragende Male von des Nimrods-Königs gesammelter Macht, - welcher der Mann von Ur sich nun gerade entzogen hatte, indem er sich dennoch zerstreute und mit seinem Anhange auf unbestimmte Wanderschaft begab.“
Na? Lang genug? Stammt von Thomas Mann „Joseph und seine Brüder“. Habe ich sicher schon 20 Mal gelesen. Mit ganz außerordentlichem Vergnügen und Glucksen.
Doch zurück zum Punkt: Verstehen Sie jetzt, weshalb ich diesen Kurzsatz-Stil entwickelt habe? Lange Sätze würden Sie… einlullen. Ich strebe das Gegenteil an, wie Sie wohl wissen.