Erwachsene quatschen
Jede Woche finden Sie in der "Zeit" einen Fragebogen. Für Kinder. Zuletzt wurde Nele, 7 Jahre, gefragt, was typisch sei für Erwachsene. Ihre Antwort:
Quatschen.
Wie wahr. Darf ich Ihnen ein aktuelles Beispiel geben, das nicht nur mir auf der Seele brennt? In der gleichen Woche (Focus 22/2013, Seite 36) wird über den 116. deutschen Ärztetag berichtet mit der Überschrift
"Arm stirbt früher"
Das sei das Ergebnis einer Studie des Robert-Koch-Institutes mit 8 000 Teilnehmern. Ergebnis: Menschen aus unteren sozialen Schichten werden häufiger chronisch krank und fühlen sich auch häufiger krank. Außerdem sei das Risiko, fettleibig zu werden (BMI über 30) bei Frauen mit wenig Einkommen und geringerer Bildung viermal so groß wie bei gut verdienenden und gebildeten. Zu diesem Thema wird auch anderswo geforscht. Nämlich in Hamburg: Olaf von dem Knesebeck präsentiert doch tatsächlich auf dem Ärztetag schockierende Daten gleich zu Beginn seines Vortrags:
Männer mit weit unterdurchschnittlichem Einkommen haben eine um fast 11 Jahre geringere Lebenserwartung.
Schockierend! Das war zwar vor 10 000 Jahren auch schon so (erinnern Sie sich? Als die Pyramiden gebaut wurden?) Das war zwar vor 2 000 Jahren auch schon so (die Sklaven im alten Rom). Das war zwar vor 500 Jahren in Deutschland auch schon so, war vor 100 Jahren auch schon so. Aber heute wird in Hamburg geforscht: Schockierende Ergebnisse.
Und sehr richtig stellt unser Ärztepräsident fest (Er stellt fest. Punkt. Mehr tut er nicht.), dass die besten Vorsorgeuntersuchungen nichts nützen, "wenn die Eltern weiter rauchen, zu viel und falsch essen, zu viel trinken und sich zu wenig bewegen".
Jetzt kommt's: Zum Glück passiert ja etwas. Ganz neu, 2013 geschieht endlich etwas. Das Problem, wie gesagt, 10 000 Jahre bekannt. Aber jetzt passiert's:
- Der Ärztepräsident Montgomery fordert Unterstützung der Ärzte durch Sozialarbeiter, Kindererzieher und Lehrer
- Ulrich Fegeler, Vorstand des Verbandes für Kinder- und Jugendärzte, fordert seit langem, dass Kindertagesstätten zu Familienzentren werden...
Das isses! Das ist die Lösung eines Problems, welches uns tatsächlich auf den Nägeln brennt: Man muss fordern! Bloß nix tun. Bloß nicht selbst anpacken. Bloß sich nicht die Hände schmutzig machen. Bloß sich nicht blamieren in der Öffentlichkeit.
Was ich damit meine? Ich habe regelmäßig übergewichtige, ungläubige Patienten an meine Hand genommen und bin quer durch die Praxis mit ihnen gejoggt. Minutenlang. Regelmäßig ging ein Leuchten über deren Gesicht: so einfach ist das?
Ich habe regelmäßig in hunderten Wochenendseminaren Dutzende Teilnehmer an meine Hand genommen und bin mir ihnen durch den Wald gejoggt. Im richtigen Tempo. Mit schnellen kleinen Trippelschritten. Und regelmäßig kam: "So einfach ist das?" Aber da müsste man sich ja sein Jackett ausziehen... Und wenn dann irgendeine Zeitschrift wie Spiegel oder Focus hämisch darüber berichtet, bekäme man ja einen roten Kopf...
Lassen Sie mich schließen mit den Worten von genau diesem Ulrich Fegeler:
Hoffnung auf Besserung hat er aber nicht: "Die Probleme sind lange bekannt. Geschehen ist nichts."
Warum wohl, Herr Fegeler? Siehe Überschrift.