„Mein Arzt hat gesagt, passen Sie bloß auf mit Ihren Vitamin B6-Tabletten. Die sind ganz schön gefährlich und können Ihre Nerven zerstören.“ … Wie oft habe ich diese oder ähnliche Aussagen in den letzten Jahren von meinen Patienten gehört. Und es scheint, als dass diese Vitamin B6-Angst immer mehr um sich greift und Menschen verunsichert. Es ist also höchste Zeit hier einmal genauer hinzuschauen.

Beginnen wir damit, uns das „gefährliche“ Vitamin B6 einmal genauer anzusehen.

Seine Entdeckung geht auf den Biochemiker und Kinderarzt Paul György im Jahr 1934 zurück. Er identifizierte damals einen Faktor in Hefe, der bei Ratten eine entzündliche Hautkrankheit heilen konnte. Györgi nannte diesen Faktor "Vitamin B6", da er der sechste Wirkstoff aus dem Vitamin-B-Komplex war, der isoliert wurde. 1927 hatte er bereits Riboflavin (Vitamin B2) und im Jahr 1940 dann das Biotin (Vitamin B7) entdeckt.

Übrigens, falls Sie sich wundern: Vitamin B8 gibt es nicht mehr, denn das Inositol, das früher so bezeichnet wurde, ist nach neuesten Forschungen kein Vitamin mehr, sondern nur ein Vitaminoid. Der Körper kann Inositol selbst aus Glukose herstellen.

Vitamin B6 gehört also zu der Familie der insgesamt acht B-Vitamine. Es wird auch als Pyridoxin bezeichnet und umfasst mehrere chemische Verbindungen, darunter Pyridoxol, Pyridoxamin und Pyridoxal. Seine aktive Form ist das Pyridoxalphosphat (P5P). Es ist ein wasserlösliches Vitamin, d.h. Überschüsse können leicht wieder über die Niere ausgeschieden werden.

Györgi konnte seinerzeit die Bedeutung von Vitamin B6 für die Hautgesundheit aufzeigen. Vermutlich litten seine Ratten an einer histaminabhängigen Hauterkrankung, denn heute wissen, wir, dass Vitamin B6 wichtig für die Aktivität der Diaminoxidase, die Histamin abbaut, ist.

In den 1960er Jahren haben sich dann die Psychiater Carl Pfeiffer, Humphry Osmond und Dr. Abram Hoffer intensiv mit der Bedeutung von Vitamin B6 für den Gehirn- und Nervenstoffwechsel beschäftigt und konnten nachweisen, dass Menschen mit KPU (heute auch HPU) Vitamin B6 über den Urin verlieren und infolgedessen an vielen systemischen Störungen leiden. Die neuesten Erkenntnisse in der Vitamin B6-Forschung zeigen, dass ohne ausreichende Vitamin B6-Spiegel. Muskelabbau (Sarkopenie) zunimmt.

Die EFSA in Parma, als selbst ernannte obere Wächterin über den europäischen Verbraucherschutz, hat die Bedeutung von Vitamin B6 intensiv geprüft und die folgenden gesundheitsbezogen Aussagen (“Health Claims”) genehmigt:

Es trägt bei


  • zu einem normalen Energiestoffwechsel,
  • zu einem normalen Homocysteinstoffwechsel
  • zu einem normalen Hormonhaushalt
  • zu einer normalen Cysteinsynthese
  • zu einer normalen Funktion des Nervensystems,
  • zu einem normalen Eiweiß- und Glycogenstoffwechsel,
  • zu einer normalen Funktion des Immunsystems,
  • zur Verringerung von Müdigkeit und Ermüdung,
  • zur normalen Bildung roter Blutkörperchen als auch
  • zu einer normalen psychischen Funktion.

Kein Vitamin hat so viele genehmigte Health Claims wie Vitamin B6; mit anderen Worten: Kein Vitamin hat so viele wissenschaftlich belegte Wirkungen. Es ist vor allem als Cofaktor der allermeisten Enzyme unersetzlich. Ein Mangel führt daher zu Störungen und Erkrankungen im gesamten Organismus, hier eine kleine Auswahl:


  • Appetitverlust, Durchfall und Erbrechen
  • Wachstumstörungen
  • Erhöhte Leberwerte
  • Degeneration der peripheren Nerven
  • Mikrozytäre, hypochrome Anämie (Störung des Aufbaus von Hämoglobin)
  • Zu niedrige Diaminoxidase-Spiegel (DAO) bei Histamin-Intoleranz und auch bei Neurodermitis
  • Arteriosklerose durch erhöhte Homocysteinspiegel
  • Angststörungen und Depressionen
  • Schlafstörungen
  • Progesteronmangel
  • Cysteinmangel und in Folge dessen Glutathionmangel
  • Muskelabbau (Sarkopenie)

Glaubt man z. B. dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und anderen Verbraucherschützern, gibt es in Deutschland praktisch gar keinen Vitamin B6 Mangel und die Versorgung sei durch die normale Kost mehr als abgedeckt. Im Gegenteil durch “Sportler-Produkte” und “Vitamintabletten”, wäre schnell der toxische Bereich erreicht und dies kann zu schweren Schäden an den Nerven führen.

Stimmen diese Aussagen und wie messe ich denn meinen Vitamin B6-Status? Diese Fragen beantworte ich in der nächsten News


Quellen:
Hadtstein F, Vrolijk M. Vitamin B-6-Induced Neuropathy: Exploring the Mechanisms of Pyridoxine Toxicity. Adv Nutr. 2021 Oct 1;12(5):1911-1929. doi: 10.1093/advances/nmab033. PMID: 33912895; PMCID: PMC8483950.

https://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/warengruppen/wc_49_diaetische_lebensmittel/et_vitamin_b6_sportlerprodukte.htm

Drugs and Lactation Database (LactMed®) [Internet]. Bethesda (MD): National Institute of Child Health and Human Development; 2006–. Vitamin B6. 2024 May 15. PMID: 37471512.

Youssef EM, Wu GY. Subnormal Serum Liver Enzyme Levels: A Review of Pathophysiology and Clinical Significance. J Clin Transl Hepatol. 2024 Apr 28;12(4):428-435. doi: 10.14218/JCTH.2023.00446. Epub 2024 Mar 18. PMID: 38638374; PMCID: PMC11022067.

Kato N, Kimoto A, Zhang P, Bumrungkit C, Karunaratne S, Yanaka N, Kumrungsee T. Relationship of Low Vitamin B6 Status with Sarcopenia, Frailty, and Mortality: A Narrative Review. Nutrients. 2024 Jan 4;16(1):177. doi: 10.3390/nu16010177. PMID: 38202006; PMCID: PMC10780671.



Über die Autorin:


"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.

Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.