Gödel
War einer der wenigen Menschen, die von Albert Einstein als gleichberechtigter Gesprächspartner anerkannt waren. Tatsächlich kam Einstein in seinen letzten Lebensjahren aus nur einem, einem einzigen Grund täglich in sein Büro: Er wollte mit dem rund 30 Jahre jüngeren Kollegen Kurt Gödel spazieren gehen und mit ihm seine Gedanken zur Physik, Mathematik, Philosophie und Politik erörtern.
Gödel?
Für mich ein Mathematiker. Tatsächlich ein weltberühmter Logiker und Metaphysiker. Also viel mehr. Gödel war der erste und einzige, der uns haarscharf bewies, dass der Mensch eben kein Computer ist. Der weltberühmt wurde, als er in seiner Habilitationsschrift die „Unvollständigkeit der Mathematik“ bewies. Bedeutet: Gödel konnte zeigen, dass es in allen formalen Systemen der Mathematik wahre Sätze gibt, die sich nicht beweisen lassen.
Das war neu. Das war einzigartig. Die Mathematik bisher – eigentlich auch heute – glaubt ja tatsächlich, sie sei ein geschlossenes System. Die Lehre von den natürlichen Zahlen sei widerspruchsfrei und vollständig. Man könne also jeden Satz, der im System einer formalen Sprache (wie der Mathematik) formuliert wird, beweisen oder widerlegen.
Und dann kam Gödel. Und brachte dieses Weltbild zum Einsturz. Der zeigte: Da gibt es mehr, viel mehr. Wissen Sie doch längst:
The world is what you think it is.
Wie wollen Sie das beweisen? Oder noch besser:
There are no limits.
Völliger Unfug. Weiß doch jeder. Natürlich gibt es Grenzen. Oder? Laut Gödel nicht.
Erinnern Sie sich? Ich hatte Ihnen einmal erzählt, dass Schwarzafrikaner mitten im Kongo unseren Diplom-Ingenieuren, Physikern, Quantenmechanikern weit überlegen sind. Die können nämlich exakt erklären. Die müssen keine unbewiesenen Annahmen machen, keine Axiome erfinden. Die hängen nicht im Leeren wie wir Naturwissenschaftler. Für die gibt es in jedem Baum einen Windgott und in jeder Wolke einen Wettergott und in jedem Feuer einen Feuergott, kurz und gut, die können jede Erscheinung zwanglos erklären. Genau das zeigt Gödel. Diese Weltsicht sei legitim. Der hat den alt eingesessenen Mathematikern wie Hilbert den Zahn gezogen.
In anderen Worten: Sinnvolle Sätze kann man eben nicht auf empirische einschränken (kann man nicht im Experiment beweisen) und Mathematik lässt sich eben nicht auf logische Syntax reduzieren. Mathematik ist offen, nach oben, weit hinaus.
Das nannte Gödel „rationale Metaphysik“. Für mich ist das die Huna-Religion. Im praktischen Leben erprobt. Bloß nicht beweisbar. Braucht‘s dann auch nicht.
PS: Erinnern Sie sich noch? Hofstadter „Gödel, Escher, Bach“ , der meist-nichtgelesene Bestseller der Welt? Ein Buch übrigens, in dem Hofstadter (begnadet!) zu erklären versucht, wie aus ein paar Sandkörnern so ein Kunstwerk wie der Mensch entstehen… kann. Faszinierend.
Quelle: Die Zeit, 01.10.2014, Seite 64.