Ein Interview mit Prof. Bob Wolfe. Er lehrt und forscht an der Universität von Texas. Er hat über 400 wissenschaftliche Veröffentlichungen publiziert und gilt als führender Experte auf dem Gebiet des Muskelstoffwechsels. Dank seiner Untersuchungen mit markierten Aminosäuren konnte gezeigt werden, wann Aminosäuren in den Muskel eingebaut werden. Er bewies, wie Aminosäuren den Eiweißaufbau in den Muskeln hoch regulieren und dass es keine obere Speicherbegrenzung für Aminosäuren in den Muskeln gibt.

Jopp:
Was ist die Funktion der Muskeln im Eiweißstoffwechsel?
Prof. Wolfe:
Die Muskeln sind ein Aminosäurenlagerort für den Rest des Körpers. Wir wissen, dass man über Wochen ohne Nahrung auskommen kann. Das ist nur möglich, indem die Muskeleiweißspeicher allmählich abgebaut werden, wenn es keine Eiweißzufuhr mehr gibt. Unter diesen Umständen werden mehr Aminosäuren (A.)in die Blutbahn geschaufelt. Der Aminosäurengehalt im Blut kann so selbst unter schwierigsten Bedingungen ohne Nahrung über Wochen sehr konstant gehalten werden. So bekommen die Organe und das Immunsystem, die überlebenswichtig sind, immer eine ausreichende Aminosäurenzufuhr, um die Zellen zu erneuern. Wenn es dann wieder Nahrung gibt brauchen diese Gewebe und Zellen nicht wirklich mehr Protein als vorher. Ein Beispiel: Wenn Sie richtig viel essen bekommen Sie jetzt nicht auf einmal eine erhöhte Vermehrung der Hautzellen. Stattdessen werden die entleerten Muskelspeicher wieder mit A. aufgefüllt. Tatsächlich ist es die Hauptrolle der Nahrung – wenn wir es aus dem Blickwinkel des Eiweißstoffwechsels betrachten -, das Muskelprotein wieder aufzufüllen und zu erneuern, das während der Zeit verloren wurde, als es nichts zu essen gab.

Jopp:
Eiweiß reguliert ja den Muskelaufbau selbst ohne Bewegung hoch.
Prof. Wolfe:
Ja das ist richtig und auch logisch. Wenn es Nahrung gibt, werden die A. zu den Muskeln geleitet. Die Muskeln nehmen diese auf und die Protein(Eiweiß)-Synthese im Muskel wird hochgefahren. Im Muskel werden A. aber nicht nur gespeichert, sondern es werden auch aus verschiedenen entbehrlichen A. unentbehrliche A. hergestellt. Der Muskel funktioniert also wie eine Aminosäurenfabrik. Wenn es dagegen nichts zu essen gibt, dann dienen die Muskeln als Aminosäurenlieferant. Sie halten den Aminosäurengehalt im Blut konstant, indem A. aus dem Muskel abgebaut und in die Blutbahn abgegeben werden.

Jopp:
Was passiert mit der Aminosäurenaufnahme im Muskel, wenn man mit Gewichten trainiert.
Prof. Wolfe:
Gewichtstraining kann die Muskeln zu Wachstum anregen. Aber im Nüchternzustand gibt es eher einen Abbau der Muskeln als einen Aufbau. In dem Zustand ist das Training keine Stimulation für den Muskelaufbau oder die Proteinsynthese. Es macht also keinen Sinn zu trainieren, wenn Sie hungrig sind oder danach keine Zeit zum Essen haben. Das vergessen die meisten, die hungrig ins Fitnessstudio rennen. Nach einem Gewichtstraining stimuliert Eiweiß sehr effektiv die Muskelproteinsynthese. Natürlich mehr als im Ruhezustand ohne Training.

Jopp:
Das Hormon Insulin, das nach einer kohlehydratreichen Mahlzeit ausgeschüttet wird, scheint den Muskelaufbau viel weniger anzuregen als bisher gedacht. Eiweiß scheint der Schlüssel zu sein…
Prof. Wolfe:
Der Energieaspekt – also wenn Sie viele Kohlehydrate für Energie nach dem Training essen – scheint viel weniger wichtig zu sein als die Eiweißzufuhr. Insulin hat eine sehr bescheidene Wirkung auf die Muskelproteinsynthese. Es ist vor allem die Eiweißzufuhr, die den Muskelproteinaufbau bestimmt.

Jopp:
Wenn sich die Muskelproteinsynthese mit der Eiweißzufuhr verbessert, macht es dann Sinn, ein zusätzliches Proteinkonzentrat mit dem Training einzunehmen, um die A. möglichst schnell zu den Muskelnzellen zu leiten.
Prof. Wolfe:
Ja, genau um dieses Eiweißtiming zu beurteilen, haben wir Studien mit durch Isotope markierten Aminosäuren durchgeführt, welche die Eiweißaufnahme direkt vor dem Training, eine Stunde nach dem Training und drei Stunden nach dem Training vergleichen. Wenn die A. direkt vor dem Training eingenommen werden, war der Einbau am größten. Wenn Sie also A. vor dem Training einnehmen und diese absorbiert werden, während Sie Gewichte heben, wird die Wirkung erheblich vergrößert, verglichen mit einer Einnahme nach dem Training.

Jopp:
Macht es irgendeinen Unterschied, welches Protein man nimmt?
Prof. Wolfe:
Sojaprotein scheint nicht besonders wirkungsvoll für den Muskelmassenaufbau zu sein, wenn man es mit Milch- oder Molkeeiweiß vergleicht.

Jopp:
Wie viel Protein braucht man, wenn man ein Gewichtstraining macht.
Prof. Wolfe:
Es gibt keinen spezifischen Proteinbedarf, um Muskelmasse aufzubauen. Wir wissen sogar, dass Gewichtstraining genau wie Ausdauertraining es ermöglicht, die Muskelmasse mit weniger Protein zu erhalten, als wenn man gar nicht trainiert. Das ist eine Anpassungsreaktion des Stoffwechsels auf das Training. Training verbessert also die Effizienz der Proteinausnutzung. Aber es ist ebenso richtig – ganz egal wie viel zusätzliches Protein Sie zuführen -, dass ein gewisser Teil die Muskelproteinsynthese verbessern wird. Tatsächlich wurde noch nie ein oberes Limit für diesen grundsätzlichen Stoffwechselmechanismus gezeigt. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gibt es ein lineares Verhältnis zwischen Proteinaufnahme und Muskelproteinsynthese, d. h., Proteinaufnahme und Muskelaufbau steigen wie eine Gerade an. Das Erstaunliche daran ist: Jede weitere zusätzliche Proteinzufuhr nach diesem Zeitpunkt resultiert immer noch in einer um 20 % erhöhten Muskelproteinsynthese. Und diese Kurve setzt sich fort bis 4 Gramm Proteinzufuhr pro Kilogramm Körpergewicht. Das ist das Drei- bis Vierfache der normalen Eiweißzufuhr. Also die Frage, wie viel Sie brauchen, hängt davon ab, was Sie erreichen wollen.

Jopp:
Also wenn man Sport treibt, verwendet man Protein besser. Auf der anderen Seite erhöht sich die Muskelproteinsynthese mit zusätzlichem Protein…
Prof. Wolfe:
Ja, es geht tatsächlich in beide Richtungen. Wenn Sie mit einer minimalen Proteinzufuhr durchhalten wollen, dann hilft Training Ihnen ganz klar dabei, das zu tun. Aber wenn Sie Muskelmasse aufbauen wollen, dann müssen Sie mehr Protein essen.

Jopp:
In vielen Veröffentlichungen wird für den Muskelmassenaufbau bei Gewichtstraining 1,4 bis 1,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht angegeben. In dieser Größenordnung werden die Nieren auch nicht belastet.
Prof. Wolfe:
Diese Größenordnung ist wahrscheinlich richtig. Ich glaube für einen professionellen Gewichtheber oder für einen Bodybuilder wäre dies wahrscheinlich eine recht moderate Zufuhr. Sie können wesentlich mehr Protein zuführen und würden immer noch einen größeren Muskelzuwachs feststellen. Ich finde eine Zufuhr von 1,4 bis 1,8 Gramm ist also nicht übertrieben und bleibt in einem konservativen Rahmen.

Jopp:
Wie viel Protein braucht man bei aerobem Training?
Prof. Wolfe:
Die praktische Erfahrung zeigt: Nicht sehr viel mehr. Wir wissen, dass aerobes Training die Effizienz der Proteinnutzung im Stoffwechsel verbessert. Es kommt darauf an, welchen Sport Sie treiben. Wenn Sie ein Läufer sind, dann wollen Sie keine Muskelberge. Sie können also auf eine verbesserte Proteinverwendung bauen und eine niedrigere Eiweißzufuhr haben als bei anderen Sportarten. Diese Zufuhr ist aber wahrscheinlich nicht so niedrig, wie Sie vielleicht denken. Wenn Sie sich die Topläufer anschauen, dann werden Sie feststellen, dass die prozentuale Proteinzufuhr vielleicht nicht sehr hoch ist. Auf der anderen Seite essen Läufer wegen des enormen Energieverbrauchs sehr viele Kalorien, in denen natürlich Protein enthalten ist. So haben diese Topathleten also immer noch eine ganz erhebliche Proteinzufuhr.

Jopp:
Braucht man mehr Eiweiß, wenn man auf einer Diät ist, um die Muskelmasse zu erhalten?
Prof. Wolfe:
Die Eiweißzufuhr ist besonders wichtig für Menschen, die auf einer Diät sind. Sie wollen ja die Muskelmasse so gut es geht erhalten. Wie ich bereits gesagt habe, werden die Muskeln abgebaut, um die Aminosäuren für den Rest des Körpers zu liefern, wenn Sie auf einer Diät sind. Der Muskelabbau wird stark vermindert, wenn Sie die Aminosäuren bereitstellen, die die restlichen Körperzellen brauchen. Die Proteinzufuhr sollte während einer Diät erhöht werden.

Jopp:
Wie ist der Proteinbedarf, wenn man älter wird? In den letzten Jahren zeigten viele Studien, dass 0,8 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht kaum ausreicht und dass 1,2 – 1,5 Gramm die Muskelmasse im Alter besser erhält.
Prof. Wolfe:
Ich glaube, dass wäre ein Minimum es gibt heute keinen Zweifel, dass die Proteinzufuhr bei älteren Menschen meist nicht ausreichend ist.

Jopp:
Würden Sie bei älteren Menschen die Proteinzufuhr mit einer anderen Lebensmittelkombination verbessern, oder würden Sie ein Eiweißkonzentrat empfehlen?
Prof. Wolfe:
Bedenken Sie, dass die Eiweißverwertung im Darm bei älteren Menschen oft nicht optimal ist. Ein geringes Hungergefühl kommt häufig dazu. Kohlehydrate unterstützen die Muskeln kaum. Ich glaube, ein Eiweißkonzentrat kann sehr nützlich bei älteren Menschen sein und ist für die Muskelmasse eine zusätzliche Unterstützung.

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