Mathematik im Spitzensport
Ich gebe hier gerne zu, dass ich nicht zu denen gehörte, die in der Schulzeit besonders viel Freude im Umgang mit Zahlen hatten. Es ist aber so, dass es schon ein befriedigendes Gefühl war, wenn man eine komplexe Aufgabe richtig lösen konnte, nicht? Der Weg dahin bestand aus einzelnen Teilaufgaben, die es zu erkennen galt. Manchmal konnte ich nur die Hälfte dieser richtig lösen und der Rest führte mich dann auf die falsche Fährte und damit zum falschen Ergebnis. Mein Problem: Ich habe mich auf dem ausgeruht, was ich sowieso gut konnte. Ein Phänomen, dass sich durch alle Lebenslagen ziehen kann. So auch durch den Sport.
Sie kennen Usain Bolt, den berühmtesten 100 m Sprinter der Welt? Bolt ist in den Augen vieler ein perfekte gebauter Sprinter. Dann müsste also jeder athletische Mann der Körpergröße 1,95 m mit einem Gewicht von 94 kg in der Lage sein, gleich acht olympische Goldmedaillen sowie zwei Weltrekorde zu erlaufen? Bedarf es nur dem richtigen Training von klein auf? Natürlich nicht. Abgesehen von den Prägungen als Kind und Jugendlicher, möchte ich auf eines hinaus: Bolt hatte eine schwere Skoliose, eine seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule. Wäre der junge Usain bei einer Leichtathletiksichtung in Deutschland aufgetreten, hätte man ihn ausgemustert. Aber er lebt damit seit seiner Kindheit, kennt es gar nicht anders. Bolt hat sich angepasst, weil er seine vermeintlichen Schwächen als Chancen genutzt hat. Der Rücken war außerdem längst nicht seine einzige Baustelle. Durch die Größe und sein hohes Gewicht hatte Bolt stets schlechte Reaktionszeiten beim Start. Es plagten ihn, wie nahezu jeden Sprinter, starke Achillessehnenschmerzen im Laufe der Karriere. Um der erfolgreichste Sprinter der Geschichte zu werden, musste er lernen mit diesen Hindernissen umzugehen.
Das heißt, die eigenen „Schwächen“ zu erkennen, zu akzeptieren und dann daran zu arbeiten. Sind sie Triathlet und ein Spitzenläufer oder -radfahrer, aber haben Defizite beim Schwimmen? Dann suchen Sie nach Ausgleich, wollen sich anpassen, optimieren. All das bedeutet Arbeit, die am Anfang nicht sonderlich freudbetont von der Hand geht. Ich kenne das sehr gut und habe selbst zahlreiche Hindernisse im Sportalltag. Das geht bei orthopädischen Problemchen los und endet bei Motivationsproblemen, wenn wieder nur Apnoe-Training auf dem Trainingsplan steht. Ich möchte Sie kurz aufklären. Apnoe-Training heißt mit einer 6 kg schweren Flosse an den Füßen immer wieder 50 m ohne Atmung zurückzulegen. Die Pause dazwischen hält mein Trainer, zu seiner Belustigung am Beckenrand, lebenserhaltend kurz. Er gibt uns kein Signal für den Start, sondern schreibt auf den Plan: „Pause so kurz wie möglich“. Man ist auf sich allein gestellt. Wenn nach dem dritten 50 er die Lunge nach Luft schreit, das Zwerchfell anfängt zu kontrahieren und das Lactat die Beine flutet, erwische ich mich selbst immer wieder dabei, wie ich die Pause überziehe. Aus Angst vor dem Schmerz. Es gilt dieses Hindernis zu überwinden und sich nicht auf dem auszuruhen, was immer Spaß macht. Habe ich es dann mal geschafft, möchte ich am liebsten direkt wieder loslegen.
Es ist wieder ein Projekt, das Höhen und Tiefen hat. Aber es ist der richtige Weg, um bei den Besten mitzumischen. Das ist so im Sport, der Universität, der Familie, der Arbeit und zählt auch für die eigene Gesundheit. Den Schweinehund überwinden und die Komfortzone zu durchbrechen, ist nicht die einzige Qualität eines erfolgreichen Athleten, oder anders: eines glücklichen Menschen. Für mich beginnt der Prozess viel früher, wenn man es schafft, die eigenen Gewohnheiten zu durchleuchten, oft durch die Hilfe Dritter (Trainer, Partner*in, Freunde oder Kinder), um dort Hindernisse zu finden und dieses Bewusstsein in Stärke zu verwandeln. Diese Hindernisse müssen Sie dann nicht überwältigen, nein! Sie fliegen drüber hinweg, setzen ein inniges Lachen auf und steuern mit Vollgas auf dieses befriedigende Gefühl zu, das dem Lösen einer komplexen Mathematikaufgabe ähnelt, aber so viel mehr ist als das.
Über den Autor:
“Justus Mörstedt widmete sich bis zu seinem 14. Lebensjahr in seiner Freizeit dem Triathlon, bevor er sich endgültig auf sein Lieblingselement, das Wasser, fokussierte und Finswimmer wurde. Seit 2019 ist er Sportsoldat und studiert und trainiert im Leistungszentrum Leipzig.
Doch lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: „Hier lebe ich meinen Traum: Leistungssport und Medizinstudium. Mich fasziniert es, das neu Erlernte im Sportleralltag in die Praxis umzusetzen und somit den oft trockenen Inhalten ein wenig Leben einzuhauchen.“
Diese Kombination macht sich bezahlt: im Juli 2024 wurde er zweifach Weltmeister. Über 200m Streckentauchen hält er den Europarekord. Falls Sie neugierig geworden sind, was Finswimming ist, sehen Sie sich in den News um, oder werfen eine beliebige Suchmaschine an!
Forever young wurde ihm mit seinem Einstieg in den Profisport sozusagen „in die Wiege gelegt“. Sein Trainer sagte immer: „Wer hier mitmachen will, muss mindestens ein Strunz-Buch gelesen haben.“ Zu Wettkämpfen verteilte er den Sportlern immer Vitamineral 32. Mit den Jahren in Leipzig hat sich in seinem 23 Jahre jungem Kopf so einiges zusammengesammelt, was er gerne mit Sportlerkollegen unter anderem hier in den News teilt. Dabei unterstützen wir als forever young ihn als Sponsor."