Nahrungsmittelintoleranzen: Von Läusen und Flöhen
Wenn Patienten mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten in meine Praxis kommen, stelle ich immer eine für meine Diagnostik entscheidende Frage:
„Vertragen Sie rohe Tomaten?“
Anhand der Antwort kann ich mich schon einmal grob orientieren, denn die Tomate enthält in rohem Zustand Tryptamin, aber relativ geringe Mengen an Histamin und Salicylsäure. Tryptamin bzw. Serotonin (5-Hydroxytryptamin), das im Dünndarm durch das Enzym Monoaminoxidase (MAO) abgebaut wird.
In der Medizin ist nichts zu 100 % sicher, aber in diesem Fall liege ich zu 90 % richtig. Was eine anschließende Labordiagnostik dann immer auch bestätigt.
Serotonin wird auch in den enterochromaffinen Zellen im Darm aus der essentiellen Aminosäure Tryptophan gebildet und ist der wichtigste Neurotransmitter im Darm. Er reguliert vor allem die Motilität, also die Eigenbewegung, des Darms.
Eine Tryptaminunverträglichkeit ist fast immer auf eine chronische Entzündung der Darmschleimhaut zurückzuführen in Folge derer das Enzym MAO absinkt.
Typische Symptome sind dann Durchfälle, Blähungen, Flushs (Hitzewallungen mit Hautrötungen), Kopfschmerzen und Blutdruckschwankungen.
Verarbeitete Tomaten hingegen, z. B. in Form von Tomatenmark oder Dosentomaten, haben hingegen eher wenig Tryptamin, sondern relativ hohe Mengen an Salicylsäure und Histamin. Diese können allerdings auch schwanken, je nach Anbaugebiet der Tomaten und dem Grad der Verarbeitung.
Histamin ist in der Natur allgegenwärtig und auch die Salicylsäure ist eine sehr häufige Substanz in unserer Umwelt.
Sie wird von Pflanzen gebildet wird, um sich vor Schädlingen zu schützen. Größere Mengen finden sich vor allem in Beeren, Gewürzen, Mais, Kaffee und vielen Nüssen. Aber auch in Medikamenten, wie ASS (Aspirin ®) und in Kosmetika.
Die Symptome einer Salicylatintoleranz ähneln denen einer Histaminose: Durchfälle, Asthma, Quaddelbildung auf der Haut und Kopfschmerzen.
Zudem kommt es häufig auch zu Polypenbildung in der Nase und in den Nasennebenhöhlen.
Die Salicylatunverträglichkeit wurde bereits vor mehr als 100 Jahren beschrieben und betrifft immerhin ca. drei Prozent der Bevölkerung. Die Ursachen sind nicht komplett erforscht, allerdings scheint eine komplexe Störung in der Produktion und Balance der Gewebshormongruppe der Eicosanoide vorzuliegen.
Die Diagnostik erfolgt über eine Blutuntersuchung. Es ist schon seltsam, dass diese Form der Unverträglichkeit bei der Differenzialdiagnostik z. B. in HNO-Praxen kaum eine Rolle spielt.
Auch die Diagnose „Reizdarm“ ist meiner Meinung nach keine Diagnose, sondern nur die höfliche Ausrede für: „Ich habe keine Lust/Zeit/Kenntnisse, um mich näher mit Ihrer Problematik zu befassen.“
Natürlich können bei ein und derselben Person auch verschiedene Nahrungsmittelunverträglichkeiten gleichzeitig vorliegen, genauso wie ein Mensch auch Läuse und Flöhe haben kann. Zur effektiven Therapie bedarf es einer gründlichen Diagnostik, die leider fast nie erfolgt. Für mich vollkommen unverständlich.
Quellen:
https://www.aerzteblatt.de/archiv/59081/Salicylatintoleranz
Liu N, Sun S, Wang P, Sun Y, Hu Q, Wang X. The Mechanism of Secretion and Metabolism of Gut-Derived 5-Hydroxytryptamine. Int J Mol Sci. 2021 Jul 25;22(15):7931. doi: 10.3390/ijms22157931. PMID: 34360695; PMCID: PMC8347425.
Tuck CJ, Malakar S, Barrett JS, Muir JG, Gibson PR. Naturally-occurring dietary salicylates in the genesis of functional gastrointestinal symptoms in patients with irritable bowel syndrome: Pilot study. JGH Open. 2021 Jul 21;5(8):871-878. doi: 10.1002/jgh3.12578. PMID: 34386594; PMCID: PMC8341183.
Kyra Kauffmann, Sascha Kauffmann: Der Histamin-Irrtum, VAK Verlag Kirchzarten 2021
Über die Autorin:
"Kyra Kauffmann, Jahrgang 1971, Mutter zweier kleiner Söhne, Volkswirtin, seit 20 Jahren niedergelassene Heilpraktikerin, Buchautorin, Dozentin, Journalistin und seit 3 Jahren begeisterte Medizinstudentin.
Zur Medizin kam ich durch meine eigene schwere Erkrankung mit Anfang 30, bei der mir seinerzeit kein Arzt wirklich helfen konnte. („Ihre Werte sind alle super – es ist alles rein psychisch!“). Hilfe bekam ich von Heilpraktikern, die zunächst einmal eine wirklich gründliche Labordiagnostik durchgeführt haben, ganz nach dem Vorbild von Dr. Ulrich Strunz. Es war eine neue Welt, die sich mir eröffnete und die Erkenntnisse, haben mich sofort fasziniert (ohnehin bin ich ein Zahlen-Daten-Fakten-Fan und habe nicht umsonst das Studium der VWL gewählt). Die Begeisterung war so groß, dass ich meinen alten Beruf an den Nagel hängte und Heilpraktikerin wurde. Meine Praxis führe ich seit 20 Jahren mit großer Begeisterung und bin – natürlich - auf Labordiagnostik spezialisiert und kann so oft vielen Symptomen auf den Grund gehen. In 2 Jahren hoffentlich dann auch als Ärztin.