Neue Töne aus Berlin
Es naht der „Welttag der seelischen Gesundheit“. Der aufmerksam machen soll darauf, wie sehr Dauerstress und Überforderung in unserer Gesellschaft um sich greifen.
Stimmt.
Selbstverständlich sind daran „menschenfeindliche Arbeitsbedingungen“ (Zitat DER SPIEGEL) schuld. Die Betroffenen „sind daran am allerwenigsten Schuld“ (Zitat DER SPIEGEL). Nun ja: Diese Tonlage kennen wir.
Ganz anders die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD). Sie verweist auf die Verantwortung des Einzelnen, sich vom Stress zu befreien, etwa durch
- bewusste langfristige Verhaltensänderungen
- erlernbare kleinere oder auch ausgefeiltere Spannungstechniken
- mehr Bewegung, Sport
- oder einfach nur einen gesünderen Schlaf
Erstaunlich. Hier spricht eine Senatorin aus Berlin von Eigenverantwortung. Von
„das Leben selbst in die Hand nehmen“. In meiner Sprache: Sie gesteht dem Menschen, dem von einer bestimmten Politik ja nur ein kollektives Dasein zugestanden wird, gesteht ihm zu, ein eigenständiges Geschöpf Gottes zu sein. Ausgestattet mit allem, was man braucht, um ein erfülltes Leben zu leben.
Dem widerspricht – wer hätt ´s gedacht – der SPIEGEL und wird in der gewohnten Weise zynisch und hämisch:
„Tausend Dank für (diese obigen) wunderbaren Ratschläge, möchte man der Politikerin zurufen. Mit ein paar Yogaübungen wird die ausgelaugte Altenpflegerin sicher flups ihre Überarbeitung aus den Knochen schütteln. Eine Mütze voll gesunden Schlaf am Sonntag macht müde Müllmänner wieder munter. Und mit etwas mehr Salat und den richtigen Entspannungsübungen am Abend wird auch die Fabrikarbeiterin schnell wieder fit für die nächste Schicht“.
So der SPIEGEL. Nix Eigenverantwortung. Nix Geschöpf Gottes. Sondern ausgeliefert finsteren Mächten. Den „menschenfeindlichen Arbeitsbedingungen“. So erklärt man und macht man Menschen hilflos und verzweifelt. Und das in einem der reichsten Länder der Welt. Hier verhungert oder erfriert (fast) niemand.
Wenn man, wenn Sie jetzt soeben diese Sichtweise des SPIEGELS als doch verständlich akzeptieren, haben Sie aufgegeben auf dieser Welt. Schon vergessen?
The world is what you think it is (Huna).
Und wenn er recht hat, der SPIEGEL mit seiner zynischen Sicht, dann sollte er das Ganze wenigstens als Aufgabe begreifen. Als Ansporn. Mitmenschen zu helfen. Ihnen den Weg, den Ausweg zu zeigen. Sie an die Hand zu nehmen. Wie ich das Jahrzehnte getan habe: Ich habe Sie, Sie ganz persönlich an meine Hand genommen und bin mit Ihnen losgejoggt. Nach wenigen Minuten hatten Sie es verstanden. Und waren „hooked“.
Könnten Sie das auch, lieber SPIEGEL? Selbstverständlich: Jede Woche Abdruck einer Wunderheilung. Des Briefes eines verzweifelten, erschöpften Menschen im Burn-out („menschenfeindliche Arbeitsbedingungen“), der jetzt gesund ist, glücklich, energiegeladen. Ein neuer Mensch. Selbstverständlich dürften Sie diesen Briefeschreiber erst interviewen.
Jede Woche Abdruck einer praktischen Gebrauchsanleitung. Wie die Wundergeheilten das geschafft haben. Wort für Wort bei Strunz abzuschreiben.
Denn es gibt, lieber SPIEGEL genau zwei Menschentypen: Die Schwätzer, die Schlecht- Redner, die Zyniker und auf der anderen Seite Menschen, die handeln. Die ihren Mitmenschen ernst nehmen. Ihm praktisch helfen. Für ihn da sind. Verstanden?
Auch der typische SPIEGEL-Satz „auch die besten Entspannungstechniken helfen da nicht“ ist ja bereits millionenfach widerlegt. Was glauben Sie, wie unsere Vorfahren, zum Beispiel Mittelalter, sich durch die wirklich grausligen Lebensbedingungen gerettet haben? (Vorsicht: grauslig nur in unseren verwöhnten Augen). Durch ´s Gebet. Mit Hilfe der Religion. Das waren Entspannungstechniken.
Auch Prof. Tobias Esch (Uni Witten) weiß es besser als DER SPIEGEL:
„Meditation gibt uns die Kontrolle zurück, sie befreit uns aus der Hilflosigkeit gegenüber inneren und äußeren Einflüssen.“
Zurück zum Thema: Es gibt also eine Gesundheitssenatorin in Berlin, die sich dem Zeitgeist massiv widersetzt. Die von Eigenverantwortung spricht.
Sollte dies ein Aufbruch werden?
PS: Sie glauben´s nicht. Ich auch nicht. Also handle ich. Jeden Tag.
Quelle: DER SPIEGEL Nr. 40/29 09.20018, Seite 104