Literatur spiegelt sicher ihre Zeit wieder (die Klassik, die Romantik), große Literatur erzählt uns darüberhinaus allgemein Gültiges, Archetypisches, die ehernen Gesetze menschlicher Existenz (Odysee, Ilias...). Und größte Literatur?

Sicher bewegt sich unsere Welt soeben auf einem kulturellen Plateau, wie es zu keiner Zeit in der Menschheitsgeschichte bisher erreicht war. Die Wissenschaft, die Philosophie, die Psychologie hat sich zu ungeahnten Höhen aufgeschwungen. Wir dürfen also die heutige Literatur, jedenfalls die beste, auch als einen Höhepunkt der Menschheitsgeschichte ansehen.

Und was ist die beste Literatur heute?

Ganz einfach. Dafür haben wir Institutionen, Juroren, Kulturkreise. Die höchste Auszeichnung dürfte heute der Pulitzerpreis sein. Den hat vor ein paar Jahren der US-Schriftsteller Adam Johnson für den wunderbar vertrackten Nordkorearoman „Das geraubte Leben des Waisen Jun Do“ gewonnen. Und damit einen Welterfolg gelandet.

Sein zweites Buch bekam soeben den US-amerikanischen „National Book Award“. Also darf man sein Werk als Spitzenliteratur ansehen.

Gespannt schlägt man es auf, dieses Jahrhundertwerk. Das die Literatur unserer höchst entwickelten Zivilisation wiederspiegelt. Das uns einen Blick werfen lässt in Höhen wie auch tiefste Tiefen unserer Existenz. Und was lesen wir da? Staunen Sie mit:

„…berichtet der Erzählband „Nirvana“ aus dem Innenleben grusliger, fürchterlich verunglückter Menschen. Einmal kämpft ein pädophiler Computerfreak mit seinen Obsessionen…

Ein andermal hadert die krebskranke Ehefrau eines Pulitzerpreis-gekrönten, nordkoreabegeisterten Schriftstellers mit dem Elend ihrer Ehe.“

Kurz und gut: Tatsächlich höchste Literatur, oder noch einmal zusammengefasst: „Johnsons Geschichten sind komische, finstere, raffiniert konstruierte Exkursionen in kaputte Seelen. Sie versetzen die Leser in einen Zustand der Beklemmung, der den Nachwirkungen eines Knastbesuches ähnlich ist.“

Soso. Knastbesuch. Edelste Literatur! Exkursionen in kaputte Seelen. Kultur at its best! Gruselige, fürchterlich verunglückte Menschen, Pädophile, Krebskranke. Was für eine Auswahl.

Was für ein kranker Mensch. Was für eine kranke Zeit.

Was hier fehlt? Anstand, Güte, Mitmenschlichkeit, Rücksicht, kurz: Liebe

Und Ihr wundert euch über den IS, über Taliban, über den lächelnden Betrug der Griechen, über das manische Verhalten unserer Bundeskanzlerin… Dürfen Sie alles als Literatur auf höchstem kulturellen Niveau bezeichnen. Ist alles Eins.

P.S.: Merken Sie, wie gut die DGE mit der offenkundigen Volksverdummung „Kohlenhydrate“ dazu passt?

 

Quelle: Der Spiegel 49/2015, S. 137