Wissenschaftlicher Anstand
ist in den USA etwas Selbstverständliches, auch und gerade wenn die Wirkung von Vitaminen debattiert wird. Während man in Deutschland jede Diskussion einfach abwürgt, indem man einige wenige negative Studien auswählt und sie immer, immer, immer wiederholt (siehe Spiegel, siehe Deutsches Ärzteblatt), beschäftigt man sich in den USA mit exakt den gleichen Studien sehr viel gründlicher.
Nenne ich wissenschaftlichen Anstand.
Auch in den USA wundert man sich beispielsweise über die ersten drei prospektiven epidemiologischen Studien über den Zusammenhang zwischen Vitamin E und Alzheimer. Man wundert sich, weil zwei dieser drei Studien zeigten, dass Vitamin E Alzheimer verhindert, eine Studie das aber gerade nicht aussagt.
Quintessenz wäre in Deutschland: Vitamin E hilft nicht. In den USA fragt man, was dahinter steckt. Und findet prompt durch genaue wissenschaftliche Analyse, dass in der negativen Studie, die also keinen Nutzen durch Vitamin E gefunden hat, die Teilnehmer mit der höchsten Zufuhr an Vitamin E immer noch weniger Vitamin E eingenommen hatten als die Teilnehmer mit der niedrigsten Vitamin E Zufuhr in den beiden anderen Studien.
Es war also ein reines Dosisproblem. Leuchtet ja unmittelbar ein. Muss man eben auch einmal laut sagen. Oder in der WAFCS-Studie. Der Women's Antioxidant and Folic Acid Cardiovascular Study. Welche nach einer Wirkung von B-Vitaminen auf die Hirnfunktion (Gedächtnis) suchte. Ergebnis: Keine Wirkung. Keine Schutzfunktion. B-Vitamine helfen nicht. Das wäre Deutschland.
In der USA guckt man dann genauer hin: Selbstverständlich gab es einen Schutzeffekt für das menschliche Gehirn durch B-Vitamine dann, wenn die Nahrungszufuhr B-Vitamine unter einem bestimmen Level lag. Dann half die Pille. Wurde dagegen allein schon durch die Nahrung genügend B-Vitamin zugeführt, hat die zusätzliche Pille keine Wirkung gehabt.
Das nenne ich Wissenschaft.
Oder man misst einfach. Im Blut. In der FACIT-Studie (Folic Acid Cognitive Intervention Trial) gab es drei Jahre lang Folsäure (800 µg) oder Placebo. Wenn gemessen der Folsäurespiegel von 12 auf 76 nmol/l anstieg, dann sank gemessen das schädliche Homocystein, ein Risikofaktor für Verblödung, von 13,0 auf 10,1 µmol/l. Der positive Effekt auf das Gehirn (Gedächtnis etc.) wurde in typischen psychologischen Tests bewiesen.
Das ist Wissenschaft.
Und wenn (ausdrücklich in den USA) in einer Studie kein positiver Effekt von Omega 3 gegen Demenz nachgewiesen wurde, wird - in den USA - eben kritisch hinterfragt: Omega 3 half nicht nur bei den dementen Patienten, die sowieso mehr als drei Fischmahlzeiten pro Woche zu sich nahmen. Die hatten also schon genügend Omega 3. Eine zusätzliche Pille hatte dann selbstverständlich keine zusätzliche Wirkung.
Das ist Wissenschaft. In den USA.
Quelle: JAMA 2011, April 6;305(13):1348